Der Provitreff gibt einer Vielfalt von Kulturen Raum und Ausdrucksmöglichkeiten. Die Organisation des Anlasses ist Sache der jeweiligen VeranstalterInnen. Die nicht profitorientierten Veranstaltungen in den Bereichen Kunst, Kunsthandwerk, Literatur, Musik, Theater, Tanz, Körperarbeit, Sport etc. fördern den Austausch und die Begegnung von verschiedenen Kulturschaffenden und Gruppen.

Provitreff als Verein
Der Provitreff ist als Verein organisiert. Ziel des Vereins ist es, die Räumlichkeiten am Sihlquai 240 für Veranstalter*innen kultureller und unkommerzieller Events sowie für Gruppen und Einzelpersonen als Bewegungs- und Sportraum zur Verfügung zu stellen. Der Zugang zu den Räumlichkeiten soll niederschwellig sein und jenen Personen und Gruppen der Stadt Zürich Raum bieten, die durch Aufwertung und Teuerung einen erschwerten Zugang zu vergleichbaren Lokalen haben.

Der Verein wird durch die Mitgliederversammlung konstituiert. Mitglieder können Einzelpersonen oder Gruppen sein, die sich für das Projekt Provitreff interessieren oder hier regelmässig verkehren.

Der Verein erwirtschaftet durch die Vermietung des Raumes Geld, um den Betrieb mit bezahlten Arbeitsstellen zu gewährleisten.

Zudem erwirtschaftet der Verein Gelder durch eine Gewinnabgabe der Veranstalter*innen. Dieses Geld fliesst in einen Solifonds, der nach bestimmten Grundsätzen an politische Projekte in und ausserhalb der Schweiz umverteilt wird.

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Das ist eine der ersten Akten, die die Stadtpolizei in den Achtzigerjahren über den Provitreff anlegte. Belustigt, fast schon wohlwollend ist der Ton. Doch in den vielen Akten, die noch folgten, erstarrt die Sprache zunehmend zu Beamtendeutsch. Bis zur Aufdeckung des Schweizer Fichenskandals 1989 legte die Stadtpolizei Zürich ein dickes Dossier über den Ort an. Der Inhalt ist erstaunlich, oft amüsant, vor allem aber aufschlussreich.

An diesem Tag, dem 18. Mai 1984, bespitzelten die Schergen der Schmier – damalige Mundart für Polizei – ein internes Eröffnungsfest. Es war nämlich so, dass die Polizei zu jener Zeit heimlich und massenhaft Informationen von Menschen sammelte, die auch nur entfernt einer staatskritischen Haltung verdächtigt werden konnten. Für jede beobachtete Person oder Organisation erstellte sie dann eine sogenannte Fiche, in der sie die Akten vermerkte. Im Visier standen vor allem ausländische Staatsangehörige, überwiegend aus der Sowjetunion, aber explizit auch Linksaktivist:innen. 1989, im Zuge des Fichenskandals, wurde die Existenz von sage und schreibe 800‘000 Fichen auf Bundesebene bekannt. Dazu kamen die kantonalen und städtischen Bestände; allein im Zeitraum von 1964 bis 1989 legte die Stadtpolizei Zürich 55‘000 Fichen an, ohne dass die Bevölkerung davon wusste.

Was die Polizei an diesem Tag bespitzelte, war eine Feier von Zirkus- und Theatergruppen. Sie hatten den Provitreff gerade eben übernommen. Das Gebäude aber, das Sihlquai 240, hatte schon da eine lange Geschichte. 1871 wurde es als Giesserei, Schmiede und mechanische Werkstatt erbaut. Drei Jahrzehnte später, 1904, öffnete darin eine Desinfektionsanstalt, die Kleider und Möbel von mit Pocken oder Typhus befallenen Personen chemisch reinigte.

Danach stand das denkmalgeschützte Fabrikgebäude lange leer. Doch im heissen Jahr 1980, als die Opernhauskrawalle die schweizweite Jugendbewegung entzündeten, fand der Treff des damaligen Jugendhauses Drahtschmidli – dem heutigen Dynamo – ein Provisorium im Sihlquai 240.

Jugendarbeiter:innen boten Jugendlichen hier, anfangs noch den «Treff» genannt, einen Raum ohne Alltagsstress und einengende Kontrolle, Entfaltungsmöglichkeiten und ein offenes Ohr, während das Drahtschmidli im Umbau war. Damit war der Ort auch während der Bewegung neben dem AJZ und der Roten Fabrik ein Brennpunkt des politischen Geschehens rund um Freiräume, Jugendkultur und das Auflehnen gegen die beengende Biederkeit, die in den Schweizer Städten herrschte. (Der provisorische Charakter schlug sich später im Namen nieder: Aus dem «Treff» wurde der «Provitreff».)

Da das Sihlquai 240 als Ableger des Drahtschmidli aber noch eine staatliche Institution war – nicht wie das AJZ und die Rote Fabrik, die autonom organisiert waren –, hatte man bei der Polizei noch keinen starken Drang, das Treiben an der Limmat heimlich zu dokumentieren. Das änderte sich 1984 abrupt, als die Stadt das Sihlquai 240 an das Zirkus-Theater Federlos, die Spuntengruppe Levante und die Kulturgruppe Houdini übergab.

Nun, in privater Hand aus dem Kulturkuchen Zürichs, stand jede Regung, jedes Geräusch und jede Verabredung im Provitreff unter Generalverdacht. Aus Sicht der Polizei war das auch berechtigt, denn die darin verkehrenden «Szenisten», wie sie in den Fichen genannt werden, hatten Verbindungen zu den Politkreisen der autonomen Bewegung. Trotzdem mutet es belanglos, fast schon lächerlich an, was die Spitzel der Polizei notierten:

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Möglicherweise finden sich im Menu versteckte Hinweise auf die nächste Demo? Was auch immer sich die Schnüffler:innen gedacht haben müssen, feststeht: Im Provitreff wurde politisiert. Man veranstaltete Diskussionsrunden zu Lateinamerika, zum Handel mit dem globalen Süden, zum Gefängnis- und Asylsystem, zum internationalen Währungsfonds, zur Wohnungsnot und zur Stadtentwicklung. Und man traf sich, kochte, zeigte Filme, organisierte Konzerte, schmiss Partys und Bars.

Was sich in der Jugendbewegung der Achtziger öffentlichkeitswirksam abspielte, lebte also unter anderem im Provitreff weiter: autonome, globalisierungskritische Politik, Kultur, Freiraum für die Jugend und Soziales auf der einen Seite; stiere, steife und strenge Staatlichkeit und repressive Polizei auf der anderen Seite. Zürich war immer noch eine kalte Stadt. Das Nachtleben hatte um 23 Uhr zu enden, nur vier Clubs durften bis 4 Uhr morgens wirten – aber keinen Alkohol ausschenken. Es würde noch bis in die Neunziger dauern, bis man das Zürcher Gastgewerbe liberalisierte.

Mittendrin in der Stadt, mit einem Aussenbereich am Fluss, in einer Umarmung von Bäumen, dazu eine Küche und ein weiträumiger Innenbereich: Das hat wohl seinen Teil dazu beigetragen, dass das Sihlquai 240 zu einem gefragten kulturellen Raum Zürichs wurde.

Doch eine gute Lage und ein lauschiges Gärtchen machen noch keinen gelungenen Ort. Erst Haltung und Idee geben Charakter. Im dritten Artikel der Vereinsstatuten von 1993 – damals gründeten die Benutzer:innen den gemeinnützigen Verein Provitreff – hiess es: «Ziel des Vereins Provitreff ist es, eine Vielfalt von Kulturen Raum und Ausdrucksmöglichkeiten zu geben. Die nicht profitorientierten Veranstaltungen und Anlässe fördern den Austausch und die Begegnung von verschiedenen Kulturschaffenden und Gruppen. Sie sollen den Abbau von Vorurteilen ermöglichen und richten sich gegen Rassismus und Sexismus.» Diese Sätze stehen auch heute noch leicht umformuliert in den Statuten.

1998/99 fand eine grössere Renovation statt: Die Küche und der Barraum wurden umgebaut, die technischen Anlagen und ein Büro im Dachstock eingerichtet. Der Bewegungsraum erhielt Garderoben und Duschen. Schon kurz darauf musste das Team aber um den frisch gemachten Provitreff bangen: ein historisches Hochwasser an Pfingsten 1999 liess die Limmat so anschwellen, dass sie fast den Barraum flutete.

Zu dieser Zeit begann der Provitreff auch, seine Mitarbeitenden zu entlöhnen. Davor arbeitete das Team freiwillig und unentgeltlich. Doch trotz der Professionalisierung ist der Provitreff auch heute noch ein Ort nichtkommerzieller Kultur. Der Eintritt ist oft konkurrenzlos günstig, das Bier auch. Die allfälligen Gewinne sämtlicher Veranstaltungen fliessen an soziale oder politische Projekte. Jede:r darf mitmachen, ob erfahren oder nicht, publikumsstark oder nicht, kulturell vernetzt oder nicht. Die einzige Bedingung: Man muss persönlich im Provi erscheinen und eine unkommerzielle, gemeinnützige oder förderungswürdige Idee vortragen. Darüber hinaus wird Wert darauf gelegt, diskriminierten Gruppen einen Raum zu bieten.

Seit den Neunzigern gab das Provitreff-Team, bestehend aus 10 bis 15 Personen, Raum für: eine Capoeira-Gruppe, einen Pencak-Silat-Verband (eine indonesische Kampfkunst), FLINTA Boxen, diverse Tanz- und Theaterveranstaltungen, Karate und und unzählige Feten natürlich. Um nur einige beim Namen zu nennen: «Herbstzeitlosen Party», «Jesus was a zombie», «Sperrzone» (dresscode: cyber, fetisch, black), «Ethiopan Christmas Special», «Ghettoblaster Party», «Underground Hell Party», «Tibetian Losar Party» (das tibetische Neujahr), «Offpride» (alternatives Queer-Festival), «Kritnet Soliparty» (Labor für kritische Migrations- und Grenzregimeforschung), «The Best of Funk», «Bad Taste Party», «Dancehall Explosion», «Balkanparty», «Heldenbar», «Gambia 50th Anniversary Party», «Flowers, Boots & Bones» (Gothic, Punk, Rock, Wave), «Backslash Festival», «Boschbar», «Feel the Vibe – Gehörlosen-Party», «Rave for trans healthcare» «Molotow» (Rock-Party), «2011 Trunkar Disco» (Bollywood and Bhangra Beats), «Thirty and still Dirty», «Habesha Night», sind Events, die im Provitreff stattfanden und immer noch stattfinden. Dazwischen etliche Punk-, Ska-, Raggae- und Hip-Hop-Konzerte – und vieles mehr.

Der Provitreff stiftet nach wie vor Weltoffenheit, Wärme und Urbanität hier in Zürich. Wir vergessen heute gerne, dass das kulturelle Leben, das wir so selbstverständlich hinnehmen, noch gar nicht so lange her eine schwierige Sache war… darum lasst uns noch einmal ein Blick auf die Biederkeit werfen, die früher in Zürich herrschte, mitsamt falsch geschriebenem Namen, kaum zu versteckender Verachtung und eigenartiger Beamtenwörter:

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Provitreff

Sihlquai 240, 8005 Zürich

044 271 12 06

info@provitreff.ch


Impressum:

© Verein Provitreff


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Studio Fuser & UFO


Code:

Bachstein